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AutorenbildSabine Patatzki

Under the cover

Zu meinen liebsten Aktivitäten in der Kindheit gehörte zweifellos, dass einmal pro Woche die Bücherei angesteuert wurde. Und jedesmal, schon nachdem ich durch die Tür bin, fühlte ich mich wie von einer anderen Welt verschluckt – „draußen“ war erstmal ganz weit weg. Damals gab es ja noch keine e-Books und co. – und so verbinde ich mit dieser Zeit bis heute ganz speziell auch den Geruch von Papier. Sehr sehr viel Papier, um genau zu sein, denn die Regale waren Brett für Brett prall gefüllt und ragten aus meiner Kinderperspektive bis dicht unter die Decke.

 

Also erstmal stöbern – was darf denn heute mit mir kommen? Ob Sachbücher oder Fantasy Romane, wo soll man denn anfangen bei der riesengroßen Auswahl? Eines jedenfalls war klar: Ob kleines Taschenbuch, Comic oder dicker Wälzer – was mir nicht sofort vom Cover her gefallen hat, blieb liegen. Aus heutiger Sicht betrachtet, ist mir da ganz sicher so manches mal eine besondere Kostbarkeit entgangen. Es gibt nun mal diese Exemplare, die im Regel verstauben, weil niemand sie lesen will. Vielleicht genau aus diesem Grund – nämlich, dass das Cover schlichtweg nicht überzeugt hat. Kein glitzerndes, buntes Titelbild, kein verheißungsvoller Titel? Nein, zu unscheinbar, zu uninteressant, zu langweilig – das lassen wir mal lieber stehen. Nur wer weiß schon wirklich, was wir hier zu entdecken gehabt hätten? Denn selbst das kleinste, unscheinbarste Exemplar hat doch sicher auch eine Botschaft für die Welt. Warum also nicht einmal einen Blick hineinwerfen? Wir könnten es ja mal ganz vorsichtig aus dem Regal ziehen. Ja, warum nicht …

 

Das Inhaltsverzeichnis verrät uns schon einmal, dass es mehrere Kapitel gibt. So ein Buch habe ich zugegebenermaßen noch nie gesehen – sieht ziemlich nach Unikat aus. Manche dieser Kapitel sind länger, manche nur ganz kurz. Ein paar Bilder sind auch enthalten, von Menschen und Landschaften. Einige Passagen wurden mit anderen Personen gemeinsam geschrieben, andere wiederum stammen nur aus einer einzigen Feder. Überhaupt die Schrift, mal das klassische Schreibmaschinenbild, mal schön geschnörkelte Handschrift mit Füller. Einige Seiten enden ganz abrupt mitten im Satz, andere blieben gar ganz weiß. Es gibt auch einen Abschnitt, der ist ganz wellig. Es scheint, als ob hier viele Tränen geflossen sind. Die Seiten dadurch zusammengeklebt, man kann sie gar nicht mehr auseinanderziehen, um zu lesen, was dort niedergeschrieben wurde. Auch das ein Teil der Geschichte, nur dass wir hier nicht weiter schauen dürfen. Wirklich, so ein Buch habe ich noch nie zuvor gesehen, wirklich nicht.

 

Ich habe tatsächlich das Gefühl, eine Kostbarkeit in den Händen zu halten. Behutsam – ganz behutsam – lege ich das Buch wieder zurück ins Regal.  Es sind viele kleine Geschichten darin enthalten. Geschichten, die das Leben schrieb, wie man so schön sagt. Ob schrill oder schlicht – die Seiten wurden letztlich gebunden und das Buch hat nun seinen Platz im Regal. Zweifellos hat es eine Geschichte zu erzählen. Wie hat uns das Ende gefallen? Belassen wir es dabei, oder hätten wir gerne eine Fortsetzung? Und wenn ja, wie sähe dann der nachfolgende Band aus? Und bei genauerer Betrachtung sind wir plötzlich auch gar nicht mehr sicher, ob dieses kleine unscheinbare Büchlein nicht vielleicht auch schon die Fortsetzung von einem anderen Exemplar ist, was wir an einer anderen Stelle, in einem anderen Regal, finden könnten. Wer weiß das schon …  Denn am Ende sind es zwar viele Geschichten, die das Leben schreibt – aber vor allem ist es eins: unser Leben, das unser aller Geschichte schreibt, Seite für Seite!

 

Alles Liebe, Eure Sabine



Musibeitrag: Peter Gabriel – „Book of love“ (with lyrics)

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