November – die Zeit des Loslassens, das zeigt uns besonders die Natur gerade in besonderem Maße. Dass das Wetter zur Zeit besonders mild ist, kann über die eigentliche Thematik nicht wirklich hinwegtäuschen, nämlich dass schon bald nichts mehr blühen wird. Das Blätterkleid der Bäume schimmert von hellgelb bis dunkelrot in den schönsten Farben, aber bis Ende des Monats wird sicher alles herabgefallen sein.
1980 wurde ich eingeschult, und als Kinder sind wir mit unserer Lehrerin oft im Wald unterwegs gewesen, um ein Herbarium zu erstellen. Dabei hat sie uns die vielen kleinen Schätze der Natur nahegebracht. Unterstützend dazu haben wir immer in dem Buch „Was blüht denn da?“ von Dietmar Aichele gelesen. Ich habe selbst Jahre danach immer wieder gerne darin geblättert. Mein Lieblingskraut war übrigens der Gundermann, nach dem ich bis heute bei wirklich jedem Waldspaziergang Ausschau halte.
Was man als Kind lernt, das vergisst man nicht. Und so habe ich auch nie vergessen, dass diese besagte Lehrerin mir einmal bei einem Wandertag einen Wickel aus Sauerampfer auf den Fuß gemacht hat, nachdem ich von einer Bremse schmerzhaft gestochen wurde. Ein großartiger Mensch, sie hat gefördert, aber auch ganz schön gefordert, niemals jedoch überfordert. Nicht nur die „i“s hat sie uns Dötzchen beigebracht, sondern auch mal mit uns 20 Kindern Vanillepudding gekocht. So hat sie uns spielerisch begreifen lassen, dass wir alle eine Aufgabe haben, die individuell zu erfüllen ist, damit das Ganze gelingt.
Gestern habe ich nun erfahren, dass sie nicht mehr lebt. Nach immerhin fast 40 Jahren (!) fühlte ich mich plötzlich rauskatapultiert aus der Schülerinnenrolle, so absurd das auch klingen mag. Und da kam mir wieder der Gedanke, dass das Leben nun mal Transformation ist. Das alte Klassenfoto ist mittlerweile etwas vergilbt, und aus Schülern werden selbst Lehrer. Was weiterleben wird, ist nicht nur Text aus Büchern, sondern auch der Geist, der uns immer wieder die Bilder vom Gundermann und Sauerampfer und Vanillepudding zeichnen wird. Wie es der Zufall will, war ich übrigens erst letzten Monat mit meinem Sohn im Wald, denn jetzt ist er es, der gerade für die Schule ein Herbarium erstellt.
Und so hat er für mich etwas Tröstliches zugleich, der November, dass das Loslassen des Alten gleichzeitig bedeutet, dass schon bald etwas Neues entstehen wird. Ja, sogar ohne dieses Loslassen gar kein neues Leben entstehen kann.
In der Todesanzeige wurde ein Satz von Dietrich Bonhoeffer zitiert („von guten Mächten“). Das hat mir ein kleines Lächeln abgerungen, und die Vorstellung, dass wir vielleicht irgendwann wieder gemeinsam auf die Pirsch gehen – nach Gundermann und nach Sauerampfer. Ich freue mich jetzt schon darauf, wenn alles wieder blüht.
Alles Liebe, Eure Sabine
Musibeitrag: Johnny Logan – „What’s another year“ (with lyrics)
Gewinner des Eurovision 1980
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